Bei: Fabian Steinmetz, Oliver Grundmann & Dirk Netter
Nichts ist ohne Risiken. Ob Fahrradfahren, Sammeln von Pilzen oder der Konsum von Freizeitdrogen wie Cannabis oder Alkohol: Bei fast jeder Aktivität, die ein Mitmensch unternehmen kann, besteht eine gewisse, typischerweise geringe
Wahrscheinlichkeit eines Schadens. Die Verwendung von Kratom unterscheidet sich davon nicht. Allerdings spielen die Menge, die Häufigkeit und die Zusammensetzung des Kratomprodukts eine entscheidende Rolle. Ähnlich wie bei den Unterschieden zwischen dem Trinken von einer und zehn Tassen Kaffee auf einmal, sind Nebenwirkungen nach dem Konsum großer Mengen
wahrscheinlicher, als nach dem Konsum geringer Mengen.
Viele NGOs haben Safer-Use-Regeln veröffentlicht, um Menschen, die Drogen konsumieren, einen weniger schädlichen Konsum zu ermöglichen. Es liegen keine genauen Daten zur Konsumprävalenz in Europa vor. In den USA wurde die 12-Monats-Prävalenz auf 0,8% (Schimmel et al., 2021) und die Lebenszeitprävalenz auf 6,1% (Covvey et al., 2020) der erwachsenen Bevölkerung geschätzt. In Europa sind die Zahlen höchstwahrscheinlich niedriger, aber die jüngste Berichterstattung in den Medien und interne EKA- Daten zum Import deuten darauf hin, dass etwa eine Million im Deautschland regelmäßige
Kratomkonsumenten nicht unwahrscheinlich sind. Während Nebenwirkungen(Schwindel, Übelkeit usw.) keine Seltenheit sind und in der Regel selbstlimitierend wirken, werden schwerwiegende Nebenwirkungen selten berichtet.
Im Allgemeinen werden Nebenwirkungen durch die sympathomimetische und opioidartige Wirkweise von Kratom bestimmt.
Personen, die aufgrund ihrer Krankengeschichte, wie Epilepsie (Burke et al., 2021) oder schwerer Leberschädigung (Roma et al., 2023), oder aufgrund der Einnahme von Medikamenten/Drogen, insbesondere Opioiden und Sedativa (Torrico et al., 2024), sind gefährdet. Dennoch muss die Wirkung von Kratom im Kontext des Einzelfalls betrachtet werden: Ein tödlicher Ausgang nach dem Konsum von zwei Stimulanzien wie Methamphetamin und Kaffee würde keine Debatten über ein Kaffeeverbot auslösen (obwohl Kaffee möglicherweise dazu beigetragen hat, und es tatsächlich seltenen Fälle von tödlichen Koffeinvergiftungen gab (Kerrigan & Lindsey, 2005)).
Warum sollten Überdosierungen nach gleichzeitiger Einnahme von Fentanyl und Kratom so behandelt werden, als ob Kratom hier die Hauptverantwortung trage? Ja, Kratom kann tödliche Folgen haben. Diese werden jedoch typischerweise durch andere
Substanzen oder bereits bestehende Gesundheitsprobleme, oder eben durch Kratom-Alkaloid-Blutspiegel verursacht, die durch die traditionelle Verwendung von Kratom-Pflanzenmaterial kaum erklärbar sind. Extrakte und Mischungen, wie das mit O-Desmethyltramadol versetzte Material, das als „Krypton“ (EMCDDA, 2024) verkauft wurde, weisen ein deutlich besorgniserregenderes Sicherheitsprofil auf, wodurch das Risiko für Vergiftungen, eventuell mit tödlichem Ausgang, steigt.
Im folgenden Abschnitt versuchen wir grundlegende Safer-Use-Tipps zu geben, um Risiken zu reduzieren. Diese Regeln kann man sich mit dem Akronym
SODA“ leicht merken:
Start low, go slow (beginne niedrig, mach langsam)
d.h. nutze geringe Mengen (z.B. 2 g des getrockneten Blattmaterials) zu Beginn und
warte bevor Du nachlegst, idealerweise 2-3 Stunden.
Only oral use (nur oraler Gebrauch)
da die sichere, traditionelle
Anwendung nur auf der oralen Einnahme basiert, gelten andere
Verabreichungswege im Allgemeinen als riskanter.
Don’t mix (nicht mischen)
d.h. Kratom nicht mit anderen
psychoaktiven Stoffen mischen, es sei denn dies geschieht in Absprache
mit einem Arzt/Apotheker, oder Du weißt genau, was Du tust.
Avoid extracts (meide Extrakte)
, da Wirkstärke und Risiken höher sein
können. Ebenso fehlt es an Regeln und Überwachung um bspw.
gefährliche Zusätze ausschließen zu können.
Trotz dieser akuten Risiken wurden bei häufigerem und höherem Konsum von
Kratom, wie oben erwähnt, leichte bis mittelschwere Anzeichen einer
Abhängigkeit (mit eher geringer ausgeprägten Opioid-Entzugserscheinungen)
und ein Beitrag zur Lebertoxizität beobachtet. Diese Risiken werden durch die
Anwendung der SODA-Regeln bereits teilweise adressiert. Darüber hinaus sind,
sofern medizinisch möglich, regelmäßige Kratom-Konsumpausen
empfehlenswert. Dennoch weist Kratom im Vergleich zu den meisten stärkeren
Schmerzmitteln und Substitutionsmedikamenten ein sehr gutes Nutzen-Risiko-
Verhältnis auf (Boyer et al., 2008; Harun et al., 2022; Henningfield et al., 2022).
Angesichts der zu erwartenden großen Zahl regelmäßiger Kratomkonsumenten
und der seltenen Fälle schwerwiegender Folgen (z.B. Huter et al., 2024), bieten
zumindest traditionelle, ungestreckte Kratomblattprodukte den Benutzern die
Sicherheit, die sie vernünftigerweise erwarten können.
Dennoch wird die
Implementierung eines regulatorischen Rahmens empfohlen, der
Qualitätsstandards, Zugang und unterstützende
Informationen, insbesondere zur Risikominimierung, gewährleistet.
Quellen:
Boyer EW et al. (2008). Self-treatment of opioid withdrawal using kratom (Mitragynia speciosa Korth).
Addiction 103(6): 1048-1050.
Burke DJ et al. (2021). Breakthrough seizure associated with kratom use in patients with epilepsy. Neurology Clinical Practice
11(1): 78-84.
Covvey JR et al. (2020). Prevalence and characteristics of self-reported kratom use in a representative US general population sample.
Journal of Addictive Disease 38(4): 506-513.
EMCDDA (2024). Kratom drug profile. Verfügbar unter https://www.emcdda.europa.eu/publications/drug-profiles/kratom_en (Zugriff 14/04/2024).
Harun N et al. (2022). Mini review: Potential therapeutic values of mitragynine as an opioid substitution therapy. Neuroscience Letters
773: 136500.
Henningfield JE et al. (2022). Kratom abuse potential 2021: An updated eight factor analysis. Frontiers in Pharmacology
12: 775073.
​Huter T et al. (2024). Kratom – Nahrungsergänzungsmittel oder tödliche Droge? Rechtsmedizin
1434-5196.
Kerrigan S & Lindsey T (2005). Fatal caffeine overdose: two case reports.Forensic Science International
153(1): 67-69.
Roma K et al. (2023). Kratom-induced acute liver injury: A case study and the importance of herbal supplement regulation.
Journal of Hepatology
79(2): 581-584.
Schimmel J et al. (2021). Prevalence and description of kratom (Mitragyna speciosa) use in the United States: a cross-sectional study.
Addiction 116(1):176-181.
Torrico T et al. (2024). Presence of kratom in opioid overdose deaths: findings from coroner postmortem toxicological report.
Frontiers in Psychiatry
14:1332999.